„Tante Lena, Tante Lena, stimmt das so? Habe ich den Knopf richtig angenäht?“ Sonja ist neu in unserer Lehrwerkstatt. Sie hat gerade gelernt, wie man Knöpfe festnäht. Seit kurzem kommen etliche Mädchen aus Pawliwka zu uns nach Switlowodsk in unsere Werkstatt. Sie können bereits verschiedene Stiche mit der Hand nähen, wissen nun, wie man Knöpfe befestigt und lernen Knopflöcher herzustellen. Die Mädchen sind sehr eifrig.

„Hat wirklich jeder ein bestimmtes Talent?“ Nasar steht fragend vor seiner Erzieherin. „Ich kann nicht singen oder tanzen. Lesen kann ich auch nicht gut. Ich mache nur gerne Origami.“ Seine Freunde ermutigen Nasar: „Das ist dein Talent! Du kannst super basteln!“ Jedes Kind hat eine Begabung. Die Jungen und Mädchen müssen lediglich herausfinden, was sie am besten können. In Villa Sonnenschein veranstalteten wir eine Talentshow.

„Ich habe heute eine gute Note in der Schule bekommen.“ Jegor lächelt. Der Junge holt seine Hefte aus der Tasche, um seine Hausaufgaben zu machen. Er freut sich, endlich kann er wieder in die Schule gehen. Während der Corona-Pandemie und bis vor den Sommerferien fand der Unterricht meist online statt. Den Kindern fiel es schwer, konzentriert zu arbeiten. Im Tageskinderheim helfen wir den Kindern bei den Hausaufgaben.

Denis Lungo kommt schon viele Jahre in unsere Villa Sonnenschein. Jetzt ist er in einem Alter, in dem er Verantwortung übernehmen kann. Denis ist für unsere Bibliothek zuständig. Er ermutigt andere Kinder zum Lesen, beaufsichtigt die Ausgabe und Rückgabe der Bücher. Von Zeit zu Zeit organisiert er Lesestunden. Für Denis ist das eine gute Gelegenheit, seine organisatorischen Fähigkeiten und seine persönliche Entwicklung voranzubringen.

Die Listen mit bedürftigen Familien, die Hilfe brauchen, sind endlos. Immer mehr neue Familien kommen dazu. Tanja Galjanskaja bekam ein Paket voller Lebensmittel und Süßigkeiten für ihre Kinder. „Ich werde die Kekse und die Schokolade verstecken. Meine Kinder bekommen jeden Tag nur ein bisschen davon, damit die Süßigkeiten lange reichen.“  Neben Winterkleidung und Schulmaterial haben wir einer anderen Familie Brennholz vorbeigebracht, das nun in der kleinen Scheune lagert.

„Ich freue mich so, dass wir in der Lehrwerkstatt nähen lernen. Schon lange habe ich von schönen Kleidern geträumt und jetzt habe ich mir eines selbst genäht!“ Sonja ist glücklich! Seit zwei Jahren kommt sie regelmäßig in unsere Lehrwerkstatt. Ihr Vater ist gestorben, die Mutter erzieht die Kinder allein, arbeitet nebenbei in einer Fabrik. Die Arbeiter verbringen viel Zeit in Luftschutzräumen, die Produktion kommt dann zum Stillstand und die Löhne sinken.

Lera ist 10 Jahre alt, Vera 8 Jahre. Ihre Mutter ist in diesem Sommer gestorben und seit langem haben sie keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Nach der Beerdigung nahm die Großmutter Natascha die beiden Mädchen zu sich. Sie hat einen Job als Putzfrau angekommen, um Geld für Lera und Vera zu haben. Wenn Natascha abends müde nach Hause kommt, kocht sie das Abendessen, heizt den Holzofen an und hilft den Mädels bei den Hausaufgaben.

„Tante Anja, schau mal, ich habe die ganzen Paprika klein geschnitten. Was machen wir denn jetzt damit?“ Dascha und die anderen Mädchen im Tageskinderheim am See lernen, wie man Obst und Gemüse einmacht. „Das Traubenkompott schmeckt bestimmt köstlich!“, Raja füllt eifrig die reifen Beeren in Gläser. Gerade während des Krieges ist es wichtig, Vorräte anzulegen. Es ist ungewiss, wie die Versorgung mit Lebensmitteln im Winter aussehen wird. Ob man alles kaufen kann?

Besonders für die Kinder ist es schwer, die Schrecken des Krieges zu ertragen. „Warum ist mein Papa an der Front?“ „Ist der Krieg bald vorbei?“ „Wird mein Bruder wieder gesund? Er wurde schwer verwundet.“ Viele Fragen, die die Kinder unseren Mitarbeitern stellen. Etliche müssen leider unbeantwortet bleiben. Wir beten, dass Gott uns Weisheit und Verständnis schenkt, um Hoffnung weiterzugeben und zu trösten. Um die Kinder abzulenken, haben wir einen Spaziergang unternommen.

Am Dienstag hatten wir unser Lager zum letzten Mal in diesem Jahr geöffnet. In den vergangenen Monaten wurden wir reich beschenkt! Jetzt lagern dort unzählige Kartons, sortiert nach Kleidung, Schuhe, Bettwäsche und Handtücher. Aber auch Fahrräder, Spielsachen und Schulranzen haben wir bekommen. Die meisten Spenden kamen aus der Umgebung von Hüttenberg, viele erhielten wir auch mit der Post aus Neumünster, Gunzenhausen oder Berlin.

Jungen spielen gerne Fußball, wollen lernen, wie man ein Feuer macht, wie man Fahrräder repariert und träumen davon, gemeinsam zu angeln. Die meisten Mitarbeiter in der Ukraine sind Frauen. Doch für Jungen ist es wichtig, auch mit Männern Kontakt zu haben, gerade auch im Krieg, wo so viele Väter und Brüder beim Militär sind. Wir haben Männer in unsere Villa Sonnenschein eingeladen. Beim Fußballspielen konnten sich die Jungs so richtig austoben!

„Tante Wika, ich habe eine Wassermelone mitgebracht. Dieses Jahr haben wir so viele davon in unserem Garten geerntet. Du hast uns doch im Frühjahr die Samen geschenkt.“ „Es ist einfach ein Wunder! Wir können nicht alle unsere Kartoffeln in unserem Keller unterbringen. So viel Platz haben wir nicht. Noch nie hatten wir so eine gute Ernte!“ Es tobt der Krieg in der Ukraine, es gibt viel Leid und Traurigkeit. Gott hat die diesjährige Ernte reich gesegnet, alle Dorfbewohner haben sich gefreut!

„Jeden Morgen wache ich auf und hoffe, dass der Krieg bald zu Ende sein wird und wir nach Hause zurückkehren können. Als wir unser Haus in Donezk verließen, waren wir sicher, dass es nur ein paar Wochen dauern würde, dass der Krieg ein Missverständnis wäre. Aber…“. Müde wischt sich Galja Mamuka die Tränen aus ihrem Gesicht. Mit schmerzendem Herzen erinnert sie sich an ihr früheres Leben, an ihre gemütliche Wohnung und ihre Arbeitsstelle als Lehrerin.

„Heute heulte die Sirene während des Schulunterrichts zweimal lautstark auf“, erzählt Ulja aufgeregt. „Und wir mussten den halben Tag im Luftschutzkeller verbringen“, weiß Anja. Das ist die Realität jedes Schulkindes in der Ukraine. Es gibt keinen Frieden, nirgendwo, jederzeit kann eine Rakete einschlagen. „Habt ihr gelesen, dass gestern 50 Menschen in der Region Charkiw getötet wurden?“

In jedem unserer Kinderhäuser haben wir eine Bibliothek eingerichtet, denn Bücher helfen unseren Kindern, den traurigen Gedanken während des Krieges zu entfliehen und in lustige Abenteuer einzutauchen. „Ich liebe Märchen! Ich schaue mir dieses Buch so gerne an und lese es“, erzählt Alina. Nastja meint: „Ich mag das Buch über Coco Chanel. Ich träume davon, eines Tages auch eine berühmte Schneiderin zu werden.“